Wozzek oder das Leben liebt die Klinge

Theaterstück von Alexander Widner / Georg Büchner
Uraufführung

Was kann der liebe Gott nicht, was?
Das Geschehene ungeschehen machen.
Es ist einmal so, und es ist gut, dass es so ist.

Als Menschenversuchsreihe schreibt Alexander Widner den Büchnerschen Woyzeck weiter – ein totentanzender Menschenzirkus in Büchnerscher Sprachlosigkeit.

Der Wozzek, seine Marie und der Tambourmajor werden vom Doktor im Dienste der Wissenschaft als Experiment missbraucht, in ihrer Selbstbestimmung manipuliert und aufeinander gehetzt. Die wissenschaftliche Allmachtsphantasie postuliert eine ihr eigene Moral und zwingt den solcherart auf seine gequälte Kreatürlichkeit reduzierten Menschen, endlich die tausendmal beantwortete und dennoch immer noch offene Frage nach dem „Was kommt danach?“ zu stellen.

Im Übergang vom Leben zum Tod, in diesem Tunnel der Nahtoderfahrung siedelt Alexander Mitterer seine Inszenierung an, das Erinnerungskontinuum auslotend, akustisch begleitet durch die von der Violinistin Annelie Gahl gleichsam als „Lärm der Seele“ zum Klingen gebrachte innere Stimme der intuitiven Intelligenz: Der Tod ist (nicht) das Ende.

Durch Schwachheit hängen wir mit unserem Jahrhundert zusammen, nicht durch Stärke.

Vorstellungen

17., 18., 20., 22., 23., 24., 26. September 2014, jeweils um
20 Uhr im TTZ – Tanz & Theaterzentrum, Viktor Franz Str. 9, 8051 Graz

Details zum Stück

Wozzek oder das Leben liebt die Klinge

Theaterstück von Alexander Widner / Georg Büchner
Uraufführung

Aufführungsrechte

S. Fischer Verlag

Produktionsleitung

Gottfried Lehner

Produktionsbüro

Franz Doliner

mit

Arturas Valudskis: Wozzek
Hermann Kogler: Doktor
Alexander Mitterer: Tambourmajor
Klaudia Reichenbacher: Marie

Inszenierung

Alexander Mitterer

Regieassistenz

Roland Jaritz

Kostüme

Klaudia Reichenbacher

Bühne/ Lichtdesign

Ernst Hubmann

Technik

Alexander Gaugg

Musik

Annelie Gahl

Grafik

Richard Klammer

Kritiken

OT Applaus

„Viel Applaus aber auch nachdenkliche Gesichter gab es gestern Abend im Artecielo nach der Uraufführung von Alexander Widners Stück […]. Wem wird nicht ein wenig eng ums Herz, wenn der kleine Soldat Wozzek fragt: „Was kann der liebe Gott nicht? und dann gleich darauf sagt: „Das Geschehene ungeschehen machen.“
[…] Alexander Mitterers Inszenierung berührt, geht unter die Haut und beeindruckt. Der gebürtige Litauer Arturas Valudskis als Wozzek ist eine Idealbesetzung, der Hermann J. Koglers Arzt geht in seinem ganzen Größenwahn unter die Haut. Alexander Mitterer überzeugt als Tamburmajor, der zwischen Lebenslust und Wahnsinn schwankt, Klaudia Reichenbachers Marie berührt in ihrer Verzweiflung und absoluten Verletzlichkeit.
Das Premierenpublikum war sichtlich beeinddruckt […]

ORF

[…] Alexander Widner gab Büchners Woyzeck ein neues Messer in die Hand. Applaus für die Uraufführung des klagenfurter ensembles im Artecielo.
[…] Die Uraufführung folgt der kurzen, schlaglichtartigen Szenenfolge des Originals, der Grundton des neuen Stückes ist allerdings zynischer und kälter. Einen Eindruck, den die Musik bewusst verschärft. Zwischendurch trägt die Vernichtung des Wozzek bei Widner aber auch ein sinnliches Sprachgewand und erfreut sich abgeklärter Weisheit.

[…] Die schwierige Raumsituation bekam das klagenfurter ensemble diesmal mit drei Guckkastenbühnen (Ernst Hubmann) gut in den Griff. Als Wasser muss halt eine Folie herhalten.

[…] Alexander Mitterer, der den Tamburmajor als Soldatenschablone spielt, vertraut in seiner Inszenierung auf den intensiven Arturas Valudskis. Der ausgemergelte Wozzek des gebürtigen Litauers ist in allen Gefühlsregungen glaubhaft, das leicht gefärbte Deutsch ein interessanter Klang in der Auseinandersetzung mit dem pragmatischen Monster von Doktor (Hermann J. Kogler ). Vom Leben wie vom Tod überfordert scheint die Marie von Klaudia Reichenbacher.

[…] . Viel Applaus für einen dichten Abend.

Uschi Loigge, Kleine Zeitung, 10.11.2006

Ein Regime schärfster Wort-Klingen

[…] Der Wozzek schnappt um Überlebensluft. Und seine Marie schmeißt sich eigentlich in sein Messer. Der Tambourmajor schreit, mit einem Fötus im Glas, verzweifelt nach Schnaps. Und der Arzt glaubt sich selbst seine göttlichen Allmachtsfantasien. Alexander Widner hat Büchner „fortgeschrieben“ – „Wozzek oder das Leben liebt die Klinge“ erlebte seine lange und immer wieder verschobene Premiere beim klagenfurter ensemble. Und wie kann es anders sein bei Widner? Das Wort regiert, wächst, putzt die Figuren noch klarer heraus, wirbelt sie herum, steckt sichtbar hinter den zusammengekniffenen Lippen oder schmilzt grüngallig, wohlerzogen-talmiglänzend wie eine heiße Klinge durch einen chancenlosen Butterberg. Was Widner zu sagen hat, sind Worte zur Befindlichkeit. Und warum etwas so ist, wie es ist, in unseren kleinen Horizontkäfigen.
Diese stellt Ernst Hubmann auf die Bühne, klein, fein, geordnet und durchsichtig und doch aus Maschendrahtzaun. Er weist dem Arzt einen zu und der Marie einen zweiten. Dazwischen liegt der Gang der Wissenschaft (mit Schiebetüren); und Wozzek (Arturas Valudskis) marschiert hin und her, müht sich im Quadrat, bekommt kaum Luft vor Anweisungen, Erwartungen, Direktiven – und seiner Natur. Keine Sekunde ist der Mord seine Absicht, er wird zur Klinge gemacht. Hermann Joseph Kogler als Militärarzt steht für alle „Spiegelgründler“ zusammen – und das schauspielerisch wie eine Eins. Wünscht man sich mehr Geschehen als Worte, dann kommt die Geige von Annelie Gahl und spricht Ungesagtes. Hervorragend beklemmend – wenn man das überhaupt so sagen darf.

Aus der Kärtner Tageszeitung vom 10.11.2006

[…] Wunden gibt es viele in dem Stück, das Büchners Fragment „nacherzählt“ und weiterdenkt. Denn jeder Satz von Wozzeks Peiingern […] ist messerscharf nur auf ein Ziel gerichtet: zu verletzen.
Das gelingt prächtig im perversen Spiel um Macht, Allmacht und Onmacht, das Alexander Mitterers Inszenierung auf unbestimmte Zeitebene hievt. In Klaudia Reichenbachers schlicht „uniformierten“ Kostümen und Ernst Hubmanns „leerem“ Bühnenbild […] überlappen sich Bilder wie Handlungsläufe, die das teils originale Textgerüst meisterhaft weiterspinnen. In dunkler Einsamkeit eingesponnen ist Arturas Valudskis, der Wozzeks niedergeprügelten Intellekt grandios in stotternd verstockte Sprache bettet, die den aufkeimenden Wahnsinn ebenso nährt wie das Aufbegehren gegen eine gesellschaftliche Hierarchie, die ihn an ihr unterstes Ende gestellt hat.
Als Doktor und Gott in Weiß, der seinem Geschöpf Messer und Mordmotiv in die Hände legt, brilliert Hermann J. Kogler in Zynismus, den Alexander Mitterer als Tambourmajor mit Resten von Menschlichkeit bis zur unfreiwilligen Komik schürt. Wunderbar Annelies Gahls Musik, die aus Geräuschkulissen und Geigenschmerz Gefühle baut und auch Maries (Klaudia Reichenbacher) aussichtslosen Wunsch nach kleinem Glück zum zaghaften Klang bringt. Am bitteren Ende sind auch die Täter Opfer ihrer Taten und die Beklemmung darüber kann selbst den tosenden Applaus nicht überdecken…

Irina Lino schreibt in der Kronen Zeitung am 10.11.2006